Die klassische Zahnheilkunde konzentriert sich ausschließlich auf die Zähne, den Kiefer und den Mundraum. Kronen, Füllungen und Zahnersatz werden so hergestellt und angepasst, dass sie so lange wie möglich ihre Funktion erfüllen. Die ganzheitliche Zahnmedizin betrachtet Probleme am Gebiss aus einem weiter gefassten Blickwinkel. Sie geht davon aus, dass sich Probleme mit den Zähnen auf den ganzen Körper auswirken, und stellt den Menschen in den Fokus. Der Ansatz befasst sich mit der Verbindung zwischen Mundgesundheit und allgemeinem Wohlbefinden und gewinnt immer mehr an wissenschaftlicher Bedeutung.
Was wird unter ganzheitlicher Zahnmedizin verstanden?
Die ganzheitliche Zahnheilkunde beziehungsweise integrativ-biologische Zahnmedizin untersucht systematisch die Zusammenhänge zwischen den Zähnen und Kiefer einerseits sowie chronischen Krankheitsbildern der Patienten andererseits. Zudem werden die Betrachtung und Analyse äußerer Umwelteinflüsse in ganzheitliche Behandlungsformen einbezogen. Dabei arbeiten ganzheitlich orientierte Zahnärzte bei der Diagnose und Therapie ihrer Patienten mit Medizinern aus anderen Fachbereichen zusammen.
Worauf basiert die ganzheitliche Zahnmedizin?
Der medizinische Ansatz ist nicht neu. Seine Ursprünge werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) verortet. Die alten Chinesen gingen davon aus, dass der menschliche Organismus mit einem komplexen Netzwerk ausgestattet ist, das aus verschiedenen Energiebahnen und Meridianen besteht. Daraus schlossen die alten Meister auf eine direkte Verbindung zwischen Zähnen und Organen.
Schon im 19. Jahrhundert kamen abendländische Wissenschaftler zu dem Schluss, dass der Mundraum den allgemeinen Gesundheitszustand widerspiegeln könnte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen britische Ärzte zu dem Ergebnis, dass Zahnentzündungen und -infektionen der Auslöser weiterer Krankheiten außerhalb des Mundraums sein könnten.
Kurz darauf begann der amerikanische Zahnarzt und Ernährungswissenschaftler Weston Price, die Einflüsse einer gesunden Ernährung sowie einer regelmäßigen Zahnhygiene auf die menschliche Gesundheit zu untersuchen. Die 1939 veröffentlichten Ergebnisse* gelten als Grundlage der ganzheitlichen Zahnmedizin.
Ganzheitliche Zahnheilkunde in der heutigen Zeit
Heute ist die integrative Zahnheilkunde ein etablierter Bereich der Zahnmedizin. Sie stellt nicht ausschließlich die Behandlung von Symptomen in den Mittelpunkt, sondern konzentriert sich obendrein auf die Prävention von Krankheiten und die Stärkung der allgemeinen Gesundheit.
Dabei berücksichtigt der Ansatz ein breites Spektrum aus Faktoren wie Lebensstil, Ernährung und Stressbewältigung. Sie integriert biokompatible Verfahren und Materialien sowie Behandlungsmethoden, die nicht der klassischen Zahnmedizin zuzurechnen sind.
Wodurch unterscheidet sich der ganzheitliche vom schulmedizinischen Ansatz?
Ganzheitliche Zahnheilkunde ist nicht als eine alternative Behandlungsform zum klassischen Ansatz zu betrachten. Zahnmediziner, die nach der ganzheitlichen Methode arbeiten, haben den gesamten Organismus im Blick. Sie sind in der Regel klassisch ausgebildet, besitzen aber obendrein fachübergreifende Kenntnisse, beispielsweise aus der Immunologie, der Umweltmedizin und der Orthopädie.
Der Zusammenhang zwischen Zahnerkrankungen und Allgemeinerkrankungen
Oft stehen chronische Krankheitsbilder wie Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und Diabetes in enger Relation mit Zahnerkrankungen. Eine Dysfunktion des Kiefergelenks kann der Auslöser sein für Tinnitus, Schwindelattacken, Depression, Migräne und Stress im Allgemeinen. Genauso ist es umgekehrt möglich, dass eine Krankheit erst Beschwerden im Mundraum auslöst.
Eine Amalgamunverträglichkeit kann Konzentrationsschwächen auslösen und für Muskelschmerzen, Rheuma, Müdigkeit und Magenprobleme verantwortlich sein. Entzündliche Prozesse wie Parodontitis können Gefäßkrankheiten nach sich ziehen und Arthritis, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie Augen- und Nierenkrankheiten verursachen.
Auf welche Behandlungsmethoden wird bei der ganzheitlichen Zahnmedizin zurückgegriffen?
Die Behandlungsmethoden in der ganzheitlichen Zahnheilkunde sind vielfältig. Neben den herkömmlichen Therapieformen kommen folgende Verfahren zum Einsatz:
- Akupunktur: Diese Behandlungsmethode lindert Schmerzen und unterstützt den Heilungsprozess, indem bestimmte Punkte stimuliert werden, die das Wohlbefinden fördern.
- Amalgam-Substitution: Alte, quecksilberhaltige Amalgam-Füllungen werden durch biokompatible Materialien ersetzt.
- Homöopathie: Diese Behandlungsform setzt auf die Selbstheilungskräfte des Organismus.
- Hypnose: Manche Zahnärzte setzen Hypnose ein, um die Ängste der Patienten vor der Behandlung zu reduzieren.
- Angewandte Kinesiologie: Bei dieser Untersuchungsmethode werden anhand der Muskelspannung Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand gezogen.
- Naturheilkunde: Dabei handelt es sich um die Anwendung natürlicher Therapieformen und Heilmittel.
- Neuraltherapie: Die Verwendung von Lokalanästhetika zur Linderung von Schmerzen und zur Förderung des Heilungsprozesses.
Welche Materialien kommen zum Einsatz?
In der ganzheitlichen Zahnheilkunde wird versucht, vor allem mit bioverträglichen Materialien zu arbeiten. Schließlich befinden sich Brücken, Zahnersatz und Plomben im Mund und geben ständig Bestandteile ab, die über die Schleimhäute in die Blutbahn gelangen. In der Regel wird versucht, auf Metalle zu verzichten. Dabei setzen die behandelnden Mediziner zunehmend auf keramische Verbindungen.
Vorzüge und Nachteile der ganzheitlichen Zahnmedizin
Die ganzheitliche Zahnheilkunde findet immer mehr Anhänger. Diese setzen auf die zahlreichen Vorteile der Methode. Allerdings sind auch einige Nachteile in Kauf zu nehmen.
Vorteile
- Ganzheitliche Diagnose: Die Methode beschränkt sich nicht nur auf den Mundraum und die Mundgesundheit. Sie untersucht den ganzen Organismus mitsamt seinen Wechselwirkungen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Krankheiten im Mund Hinweise auf andere Beschwerden geben können.
- Prävention: Vorbeugung ist ein wichtiger Aspekt der gesamtheitlichen Zahnmedizin. Viele gesundheitliche Probleme können mit einer intensiven regelmäßigen Mundpflege in Verbindung einer ausgewogenen Ernährung auf Abstand gehalten werden.
- Individuelle Behandlung: Die ganzheitliche Zahnheilkunde ermöglicht es, individuelle Behandlungspläne aufzustellen, die auf jeden Patienten und dessen Bedürfnisse exakt zugeschnitten sind.
- Psychologische Aspekte: Auch Stress, Angstzustände und Panikattacken können die Zahngesundheit beeinträchtigen. Die ganzheitliche Zahnmedizin berücksichtigt diese Aspekte.
- Natürliche Therapiemethoden: Bei der Behandlung der Patienten wird größtenteils auf die Verabreichung chemischer Medikamente verzichtet.
- Berücksichtigung nachhaltiger Prinzipien: Die Verwendung biokompatibler Materialien reduziert die Belastung sowohl des Organismus als auch der Umwelt.
- Umfängliche Aufklärung: Ganzheitliche Methoden setzen auf die Mitarbeit der Patienten. Der Zahnarzt nimmt sich ausreichend Zeit, um über die Präventions- und Therapiemaßnahmen aufzuklären.
Nachteile
- Zeitaufwand: Die ganzheitliche Behandlung nimmt weitaus mehr Zeit in Anspruch als der herkömmliche Besuch beim Zahnarzt. Für manche Patienten kann dies unangenehm sein.
- Schlechte Regulierung: Bei der Auswahl des Zahnarztes ist zu berücksichtigen, dass die ganzheitliche Zahnmedizin noch nicht so umfassend reguliert ist wie die klassische Zahnheilkunde. Dadurch machen sich Qualitätsunterschiede bemerkbar.
- Wissenschaftliche Belastbarkeit: Nicht alle Behandlungsformen besitzen einen ausreichenden wissenschaftlichen Background, wodurch einige Patienten der Behandlung unsicher gegenüberstehen.
Eine ganzheitliche Behandlung kann tiefgreifende Veränderungen der eigenen Lebensführung mit sich bringen. Es empfiehlt sich, diese Konsequenzen vorab mit dem Zahnarzt zu besprechen.
Was zahlen die Krankenkassen?
Welchen Anteil die Kassen bei einer ganzheitlichen Zahnbehandlung erstatten, hängt von der jeweiligen Behandlung ab. Krankenkassen übernehmen in der Regel nur die Grundversorgung von wissenschaftlich anerkannten Therapieformen. So werden beispielsweise ästhetische Maßnahmen nicht bezahlt.
Dabei ist es unerheblich, ob die Behandlung in einer herkömmlichen oder in einer ganzheitlichen Zahnarztpraxis vorgenommen wurde. Experten raten dazu, vor dem Arztbesuch die Krankenkasse zu konsultieren, um in Erfahrung zu bringen, welche Leistungen erstattet werden und welche aus eigener Tasche zu bezahlen sind.
Fazit
Ganzheitliche Zahnmedizin fokussiert sich nicht nur auf den Mundraum, sondern weitet Diagnose und Therapie auf den gesamten Organismus aus. Sie verknüpft traditionelle Verfahren mit alternativen Methoden und legt den Fokus auf Prävention und einen individuellen Behandlungsplan, der auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt ist. Sie ist daher mehr als nur eine Ergänzung der klassischen Zahnmedizin, sondern kann abhängig vom Krankheitsbild durchaus zu optimierten Ergebnissen führen.
Quelle:
*Price, Weston, A.: Nutrition and Physical Degeneration; New York-London; 1939